Fußball

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Beisetzung Hans-Joachim Pfannemüller (04.02.2021) 

Von Mitja Lüderwaldt

 

Liebe Freundinnen und Freunde von Hans-Joachim Pfannemüller, den wir alle nur IHM genannt haben,

Warum spreche ich hier? Erstens, weil mein Vater vor 13 Jahre die Beerdigungsrede für Magdalene Pfannemüller hier auf dem Dreieichenhainer Friedhof gehalten hat, zweitens, weil ich dem IHM durch meine Eltern und den Fußball beim SV Dreieichenhain verbunden war und drittens, weil es mir eine Ehre ist, dem IHM das letzte Geleit zu geben.

 

 

Liebe Trauergemeinde,

Bis heute singen die Haaner Kerbborsche Lieder des Dreieichenhainer Dichters und Musikers Otto Strauß, der als Dreieichenhainer Jude 1939, ein Stolperstein in der Fahrgasse erinnert an sein Schicksal, seine Heimat Dreieichenhain verlassen musste und ins Exil nach Buenos Aires ging. Ich möchte die ersten Zeilen eines Liedes von Otto Strauß mit dem Titel „Dreieichenhain“ meinen Gedanken über Joachim Pfannemüller voranstellen:

Dreieichenhain

Viel‘ Städte, viele Dörfer
Gibt es im Deutschen Reich.
Allein von denen allen
Kommt keines dir doch gleich!
Du Stadt, die mich geboren,
Bist du auch noch so klein;
Dich hab‘ ich auserkoren,
Dich, mein Dreieichenhain!

Hans-Joachim Pfannemüller war mit ganzer Seele Dreieichenhainer. Kaum jemand steht so sehr für diesen Ort, wie der IHM. Vor der Linse seines Fotoapparates standen ganze Generationen von Haanerinnen und Haanern. Kaum jemand, der in Dreieichenhain geboren, zur Schule gegangen, konfirmiert, die Kommunion empfangen, geheiratet, in einem Sportverein war, und und und – sie alle wurden vom IHM fotografiert. Als mein Freund Hannes Schmidt vom SV Dreieichenhain und ich uns zusammen aufmachten, den nun verwaisten Fotoladen nach Zeugnissen aus IHMs Schaffenszeit zu durchsuchen, stießen wir auf tausende Fotografien mit unschätzbarem ideellen Wert für die Geschichte dieses Ortes. Der IHM, das kann man wohl ohne Untertreibung sagen, war der fotographische Chronist Dreieichenhains der letzten 50 Jahre.

Aber wer verbarg sich hinter den Fotographien, wer war der IHM, von dem wir hier heute Abschied nehmen? So viele Menschen hatten Kontakt, gingen in seinem Fotoladen ein und aus und jeder hatte sicher eine Meinung zu dem freundlichen, großgewachsenen Mann, der hinter dem Tresen in seinem kleinen Laden in der Solmischen Weiherstraße stand. Aber wer war er wirklich?

Der IHM war ein echter Haaner, er wurde am 9. Juni 1948 als einziger Sohn von Georg Pfannemüller und dessen Frau Magdalene Pfannemüller, genannt Leni geboren. Schon 1950, nur zwei Jahre nach seiner Geburt, eröffneten die Pfannemüllers das Geschäft in der Solmischen Weiherstraße. Der IHM hat also eigentlich sein gesamtes Leben in diesem Haus verbracht und es zu einem Unikat gemacht, etwas, das man heute nur noch selten findet. In den kleinen Zimmern wurde nicht nur fotografiert, sondern auch Bücher zunächst verliehen und später verkauft, Wollwaren feil geboten, oder auch Zeitungen gingen über den Ladentisch.

1966 wurde für IHM ein Jahr großer Trauer. Sein Vater starb an einer noch aus dem Krieg herrührenden Krankheit und auch sein Opa, der zu diesem Zeitpunkt auch noch mit im Haus wohnte, starb ebenfalls. Seit diesem Tag leiteten der IHM und seine Mutter Leni den Laden zusammen. Und die beiden wurden zu einem in ganz Dreieichenhain bekannten Duo, die nun zusammen den Laden schmissen. IHM absolvierte eine Fotografen-Lehre in Frankfurt und 1971 machte er seine Meisterprüfung in Hamburg.

Das Geschäft wurde unter der Leni und dem IHM zu einer Institution im Ort Dreieichenhain. Jede Haanerin, jeder Haaner war in den nächsten 40 Jahren bestimmt irgendwann mal in diesem Geschäft. Hier wurde aber nicht nur verkauft, hier gab es immer den neuesten Tratsch aus dem Dorf, hier wurden die Weltnachrichten kommentiert und – hier war der ultimative Ort, um sich über Fußball auszutauschen.

Der IHM wusste alles über Fußball, besonders über den Regionalfußball. Wechselgerüchte über den Godulla, was macht eigentlich Thorsten Müller, hängt der Liebermann noch ein Jahr dran – Hier wusste man es zuerst und mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen – auch das ein Markenzeichen des IHM – wurde alles, meist mit ein paar lockeren Sprüchen garniert, kommentiert. Im Fotogeschäft wurden gefühlt tausende „Verträge“ von Neuzugängen beim SV Dreieichenhain auf der Ladentheke oder im Hinterzimmer (es musste ja auch mal diskret zugehen) unterschrieben. Gleich noch das neue Passfoto für den Spielerpass und der Hoffnungsträger für die neue Saison war unter Dach und Fach. Oftmals aber auch hier ein ironischer Kommentar des IHM: „Ob der was kann, ich weiß es ja nicht…“. Der Fußball war seine Passion und man kann wohl sagen, dass alle Erfolge des SVD auch seine Erfolge waren. Nie hat er sich ins Rampenlicht gedrängt, aber allen war klar, ohne den IHM lief nix.

Legendär auch seine Besuche auf den Fußballplätzen der Region. Der IHM schaute sich nämlich selten nur ein Spiel an, vielmehr fuhr er in seinem silbernen Audi, auch das sein Markenzeichen, von Platz zu Platz, stieg erst gar nicht aus, sondern parkte sein Auto so, dass er das Geschehen von seinem Autositz aus für gut 15 Minuten beobachtete, und dann ging es weiter zum nächsten Platz. So schaffte es der IHM, so die Legende, an einem Sonntag 20 Amateurspiele zu sehen. Warum er dieses auffällige Zuschauerverhalten hatte, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Man munkelt, er war auf der Suche für Geschichten, um sie am nächsten Morgen im Laden zu erzählen.

Der IHM blieb zeitlebens ein warmherziger Mensch. Gegenüber seinen Mietern im Haus am Wolfgang hat er sich stets sehr menschlich gezeigt, meine Eltern haben sich hier Zeit Ihres Lebens sehr wohl gefühlt und auch gegenüber Neubürgern zeigte sich der IHM völlig vorurteilsfrei und menschlich: Auch Krzystof Pawlik, der wohl bekannteste Torjäger des SVD und gebürtiger Pole, fand beim IHM eine neue Heimat. Ebenso Agata, auch aus Polen, die IHM in den letzten Jahren betreute und pflegte. Meine Tochter ging als kleines Kind immer zum IHM in den Laden und kam immer mit einem Geschenk zurück: Ein Buch, ein Rätselheft, ein Foto.

Im Jahre 2008 änderte sich vieles für den IHM: Seine Mutter starb und mit ihr wohl auch ein Stückchen vom IHM. Der Laden verlor durch das Zeitalter der Digitalisierung seine eigentliche Bestimmung und um mit der Zeit zu gehen, war der IHM nicht der Typ. Bald gingen nur noch Zeitungen über die Ladentheke und dann kam irgendwann das Ende. Foto Pfannemüller schloss seinen Laden für immer und mit der Schließung verlor Dreieichenhain ein Stückchen Heimat für viele. Die letzten Jahre waren für IHM nicht einfach, der Verlust der Gesundheit war schleichend, aber doch unerbittlich, sein Tod wohl für ihn eine Erlösung.

Was bleibt von einem Leben, wenn es plötzlich vorüber ist? Oft sagen wir, man lebt fort durch die Kinder oder die Enkel, doch der IHM hatte keine Nachkommen im herkömmlichen Sinne. Und der IHM war auch immer ein bisschen sagenumwoben. Gibt es nicht doch vielleicht irgendwo eine heimliche Liebschaft? Hat er auf den vielen Reisen, die er gemacht hat, auch amouröse Abenteuer erlebt? Und hat er uns nicht alle durchschaut, wir, die zum IHM in den Laden kamen? Sein verschmitztes Lächeln, sein trockener Humor, seine Lebensweisheit – irgendwie hatte ich immer das Gefühl: Der IHM hat es faustdick hinter den Ohren.

Doch kann man wohl mit recht sagen, bei der Frage, was bleibt, dass der IHM für uns alle ein gewaltiges Stück Heimat ist. Heimat ist für alle Menschen ein Ort, zu dem man ein unerklärliches Gefühl entwickelt. Man kennt alle Ecken, die Gassen, die erste Liebe, die Gerüche, die Menschen. Und für uns alle wird es so sein, dass wir, wenn wir mit unseren Partnerinnen und Partnern, unseren Kindern, Enkeln und Freunden durch die Solmische Weiherstraße laufen, und am Haus mit der Nummer 12 vorbeikommen, dann werden wir noch in vielen Jahren zueinander sagen:

Hier wohnte der IHM, er hat uns alle fotografiert, er ist ein Stück Heimat für uns, er war ein guter Mensch!

Und ich möchte mit einer Strophe des eingangs erwähnten Otto Strauß in leicht verwandelter Form enden:

Viel‘ Städte, viele Dörfer
Gibt es im Deutschen Reich.
Allein von denen allen
Kommt keines dir doch gleich!
Du Stadt, die mich geboren,
Die hat ´nen Laden klein;
Vom IHM einst auserkoren,
Vom IHM, der war Dreieichenhain!

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